![]() ISBN 978-3-940640-52-9 |
Mama, stürzen wir wieder ab?von Thomas Neumann DIN A 6, ca. 200 Seiten. Preis: 9.90 Euro *inkl. Mwst. zzgl. Versandkosten Ab einem Warenwert von EURO 50,00 versenden wir innerhalb Deutschlands und EU versandkostenfrei! Widerrufsbelehrung |
Alexander saß an seinem Computer und quälte sich durch immer gleiche
Suchmaschinen, wählte Datum und Zielort aus und scheiterte immer bei der
Eingabe der kleinen Marie. Sie war die Jüngste und landete irgendwie immer
an Platz fünf der Kinderhitliste. Vorgesehen waren allerhöchstens
vier Kinder in den meisten Eingabemasken. Schon wieder waren fünf Minuten
Zeit verstrichen, wie schon einige Male heute. Exakt sieben Minuten später
wiederholte sich das Abenteuer, doch dann war plötzlich Platz für
alle Namen. Der Jubel währte nur kurz, Alexander hätte ihn auch mit
niemand teilen können, die Uhr zeigte die Geisterstunde bereits als deutlich
verstrichen. Doch es gab keine freien Flüge mehr. Jedenfalls nicht zu Ostern
und auch nicht für alle sieben Familienmitglieder.
Es war wie verhext. Scheinbar war der Termin ein echter Engpass im Flugbetrieb
zwischen den Kontinenten.
Am nächsten Abend änderte Alexander seine Strategie. Er suchte nach
Flügen ohne Zwischenlandung, die ihn von einem norddeutschen Abflugort
nach Orlando bringen würden. Orlando war das Ziel der Urlaubsträume
und würde ein Wiedersehen mit diversen Freizeitparks bringen. Um Zeit zu
sparen, tippte er immer nur seinen Namen in die dafür vorgesehenen Felder.
Der Erfolg der Taktikänderung war dürftig. Er gelangte lediglich schneller
zur nächsten Hürde. Dann waren da noch die Zwischenlandungen. Eigentlich
wollte er sie nicht, doch es stellte sich die Frage, ob die Reise in Amsterdam,
London, Frankfurt, New York oder in Atlanta unterbrochen werden sollte, oder
vielleicht auch in allen Orten nacheinander.
Es war zum Verzweifeln und kurz bevor Alexander auch für diesen Abend das
Handtuch warf, kehrte das glück zurück.
Der Flug sollte nur einmal unterbrochen werden, was ihm bereits als Riesenvorteil
erschien. Darüber, dass seine stundenlangen Bemühungen am nächsten
Morgen mit einem lapidaren Wir wollten doch nicht zwischenlanden.,
zunichte gemacht werden konnten, dachte er keine Sekunde nach. Um das Problem
mit der Familiengröße zu umgehen, suchte und fand er eine Telefonnummer.
Er wählte die Servicenummer und hörte eine Bandansage. Eine freundliche
Frauenstimme, der er sicherlich ein Zeitungsabonnement abgekauft hätte,
doch das wollte sie nicht anbieten.
Unser Serviceteam erreichen Sie von Montag bis Donnerstag in der Zeit
von neun Uhr bis achtzehn Uhr, freitags zwischen neun Uhr und dreizehn Uhr.
Bitte kontaktieren sie unsere freundlichen und kompetenten Mitarbeiter innerhalb
der genannten Zeiten erneut. Die Verbindung wird unterbrochen.
Das wurde sie, noch bevor Alexander sich bei der Hotline bedanken konnte. Kein
Anrufbeantworter, nichts.
Den persönlichen Kontakt zum Mitarbeiter des Telefonservices würde
er wieder einmal verpassen, weil er zu der Zeit schon seit Stunden arbeiten
würde. Überhaupt, die sagenannten Hotlines. Heiß laufen konnte
vielleicht noch der Gebührenzähler, ansonsten war der Service gerade
nicht einmal lauwarm gewesen.
Alexander freute sich schon auf seinen nächsten Anruf unter der entsprechenden
Nummer. Er würde zwischen Menüpunkt eins bis fünf wählen
können oder alternativ die Mitteilung erhalten, alle Mitarbeiter befänden
sich gerade im Gespräch. Natürlich würde er das Versprechen erhalten,
exakt die nächste Leitung wäre für ihn reserviert.
Die regelmäßige Wiederholung der Ansage war gebührenpflichtig
eingeschlossen. Diese Abläufe kannte er schon zur Genüge.
Am nächsten Morgen zog Alexander die weiße Fahne auf, beichtete seiner
Frau die Misserfolge in Serie und drohte gleichzeitig mit dem Abbruch der Mission.
Die Niederlegung des Mandates wurde noch am Frühstückstisch trotz
des Mitleids einzelner Kinder abgelehnt. Die deutlichen Ringe unter beiden Augen
bewirkten lediglich, dass mit toastvollen Mündern und von Milchbärten
gutgemeinte Ratschläge unterbreitet wurden. Alexander beherzigte alle.
Isch will nach Dischneyländ, gab Marie mit aus dem Mundwinkel
quellenden Cornflakes zu verstehen.
Es war der falsche Zeitpunkt um den Unterschied zwischen dem fordernden Ich
will! und dem wesentlich dezenteren Ich möchte zu erläutern.
Das Frühstück endete bei zunehmender Lautstärke mit immer neuen
Wünschen, die alle in Florida erfüllt werden sollten. Das reichte
von Delfinarien über Freizeitparks bis zum Baden im Meer.
Und ihr wollt wirklich nur zwei Wochen dort bleiben?, erkundigte
sich Alexander schelmisch.
Genau zwei Wochen. Wie wir es herausgesucht hatten und nicht einen Tag
mehr. Die Schule beginnt pünktlich am Montag., bestätigte Johanna.
Oder kriegst du das nicht hin?.
Das hatte gesessen. Nein, es war fast nicht möglich, dachte Alexander,
aber da er laut Beschluss des Familienrates jetzt auch für Zauberei zuständig
war, antwortete er stattdessen ganz ruhig.
Bisher habe ich noch immer alles hinbekommen, liebe Johanna.
Einer der Strohhalme, die Alexander in die Hand bekommen hatte, nämlich
der Anruf in einem Reisebüro erwies sich als Volltreffer. Jedenfalls erschien
das beim erreichten Planungsstand so.
Sein Anruf war kurz und präzise. Vorhergehende Kontakte machten Nennung
von Namen und weiteren Daten vollständig überflüssig. Der Reiseplaner
hatte damit alle Register gezogen.
Wenn auch daraus keine Buchung werden würde, musste die Reise wohl ausfallen.
Insgeheim bastelte Alexander schon an der Formulierung, mit der er die schlechten
Nachrichten irgendwann in den nächsten Tagen überbringen würde.
Der Rückruf kam ebenso schnell wie präzise, was Alexanders rhetorische
Übungen unterbrach. Vor allem der Hinweis, dass nur eine schnelle positive
Entscheidung den Wunschtermin ermöglichte. Das deckte sich mit den eigenen
Erfahrungen der letzten Tage und reichte, um Alexander zu überzeugen. Familie
Reiser buchte binnen Minuten die Flüge nach Florida und schluckte dabei
zwei Kröten.
Sie würden in New York zwischenlanden müssen und außerdem nicht
direkt nach Orlando fliegen. Alexander erwarb noch am selben Tag einen Reiseführer
und fand auf der beiliegenden Karte Tampa. Etwas mehr als eine Autostunde bis
Orlando. Das würde er seiner Familie schmackhaft machen können. Ab
da gab es kein Zurück mehr.
Die Mietwagenbuchung erwies sich als ein Kinderspiel. Er verglich einige Tarife
und entschied sich für einen Van mit acht Sitzplätzen und dem vermeintlich
größten Kofferraum, der auffindbar war. Welches Fahrzeug er genau
bekommen würde, war einfach nicht herauszubekommen. Aber das spielte keine
Rolle. Er verglich die Daten noch einmal und legte dann auch diesen Ausdruck
auf den wachsenden Stapel mit den Reiseunterlagen.
Diese Reise der Reisers würde perfekt werden, da war Alexander sich sicher.
Er hatte an alles gedacht, es würden noch einige Wochen bist zum geplanten
Reisetermin verstreichen und die Liste der zu erledigenden Aufgaben war deutlich
geschrumpft. Genau genommen gab es noch eine Sache, vor der er sich schon eine
ganze Weile gedrückt hatte.
Die Einreiseformalitäten waren so vollständig amtlich, dass Alexander
immer, wenn er die Internetseite der US-Behörde aufrief, Bauchschmerzen
bekam. Heute Abend war es so weit. Die Angaben mussten unbedingt im Internet
eingegeben werden.
Bei seiner letzten Reise mit Oskar war das irgendwie leichter gewesen, da konnte
er einen Stift benutzen und die Fragen auf normalem Papier ausfüllen. Natürlich
in einem amtlichen Fragebogen. Aber immerhin auf Papier. Natürlich war
auch Johanna mit auf der Reise gewesen, doch das Ausfüllen der Fragebögen
würde er alleine erledigen.
Alexander seufzte, als er kurz nach zweiundzwanzig Uhr an einem Montag die Seite
der elektronischen Einreisebehörde der USA aufrief. Er begann heute ausnahmsweise
mit der Jüngsten, die sonst immer als Letzte erwähnt wurde. Sorgfältig
trug er alle Angaben in die dafür vorgesehenen Felder ein. Fertig.
Das Rot der Fehlermeldung war unübersehbar. Langsam machte er sich auf
die Suche nach den Zeilen mit unvollständigen Angaben. Die Fragen nach
der dunklen deutschen Vergangenheit hatte er unbeantwortet gelassen. Marie war
fünf! Es brauchte einen Blick auf den Kalender. Alexander hatte sich nicht
geirrt. Man schrieb das Jahr 2009. Mit einem mulmigen Gefühl setzte er
die Haken in dem Formular neu. Prompt kam die Bestätigung. Seine Tochter
durfte einreisen! Das Eintragen der Passnummern, Geburtsdaten, Namen und die
Antwort auf hochwichtige Fragen nahmen mehrere Stunden in Anspruch. Dann war
auch die letzte Hürde genommen. Wieder ein Dokument für Johannas Handtasche,
die sie auf der Reise keinesfalls vergessen sollte.
Der Stapel Papier für die vierzehntägige Reise hatte das Volumen eines
ausgewachsenen Romans erreicht.
Das lag auch daran, dass Alexander zwar alle Papiere sicher in den unermesslichen
Weiten der großen Handtasche seiner Frau aufbewahrt wusste, aber bei so
einer wichtigen Unternehmung musste er ganz sicher sein. Jeder Ausdruck war
doppelt vorhanden. Ein Exemplar von jedem wichtigen Zettel würde er in
seinem Handgepäck verwahren.
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