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ISBN 978-3-940640-38-3

Frei wie ein Vogel


von Pila Lardi
DIN A 5, ca. 142 Seiten.
Preis: 9.90 Euro
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Inhalt "Frei wie ein Vogel" :

Ein Albtraum beginnt….

Die Nacht mit ihrer alles umhüllenden Dunkelheit zieht ihre Schleier zurück, der neue Tag bricht an und die Sonne will mit warmen Schein versöhnen. Die Stadt erwacht allmählich zu neuem Leben, quirlig eilen Menschen hin und her, manche zur Arbeitsstelle, andere wiederum finden erst jetzt den Weg nach Hause. Es wird ein schöner Tag, an dem man die Seele baumeln lassen kann. Doch davon bekommt Lisa nichts mit.

Die Umgebung, in der Lisa sich wiederfindet, will so gar nicht zu dem hoffnungsvollen jungen Tag mit seinen warmen Sonnenstrahlen passen. Sie schaut sich um, nur nackte, unfreundliche Wände umgeben sie. Der Raum hat keine Fenster, eine Seite wird begrenzt durch ein Gitter.
Lisa Kummer fröstelt. Nicht, weil sie friert – sie ist müde und ihre Nerven sind zum Zerreißen gespannt.
Ganz allein in diesem unwirtlichen Raum realisiert sie erst so nach und nach, so ganz allmählich, wo sie sich befindet.

Entfernte Geräusche, Wortfetzen, Schlüssel drehen sich scheppernd im Schloss. Sie befindet sich in Polizeigewahrsam. Hat sie ein Verbrechen begangen? Sie, die keiner Fliege etwas zu Leide tun kann? Eigentlich wohl nicht. Das kann doch nur ein Irrtum sein, das wird sich sicher bald aufklären. Lisa schwankt minütlich zwischen Hoffnung und Zweifel. „Was, wenn sie uns hierbehalten?“ Sie mag diesen Gedanken nicht weiter ausmalen und wird sich ihrer eigenen Ohnmacht bewusst, sie kann nur warten, warten auf die Entscheidung anderer. Die Wände anstarrend, hat sie auf einmal das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen.

Aber wo ist ihre Freundin Susi? Sie kann niemanden fragen - sie befindet sich in Polen und versteht die Sprache nicht, geschweige denn kann sie Polnisch sprechen. In der Schule haben sie Englisch, Russisch und Französisch gelernt - aber das nutzt hier nichts.
Polnisch ist zwar wie das Russische der slawischen Sprachfamilie zuzurechnen, aber die beiden Sprachen sind doch grundverschieden. Mit den Nasallauten erinnert es sogar etwas an das Französische.

Die Zeit schleicht davon, Lisa weiß nicht, wie spät es ist, wie lange sie schon hier ist. Sie brütet vor sich hin und versucht sich vorzustellen, wie es wohl weitergehen wird.
In der Ecke steht ein großer Metallkübel - so richtig kann sie sich nicht vorstellen, wofür dieser gedacht ist. Nachdem sie aber ein menschliches Bedürfnis verspürt – immerhin sind seit der Festnahme einige Stunden vergangen – und sie dem vorbeigehenden Polizisten mit Gesten verständlich gemacht hat, was sie bedrückt, deutet er auf diesen bewussten Kübel. Lisa kann das nicht glauben. Darf sie nicht auf die Toilette gehen? Nein, sie darf nicht. Als der Druck auf die Blase gar zu schlimm wird, bleibt ihr nichts anderes übrig, als das Ding zu benutzen! Sie fühlt sich am Boden und hofft nur, dass in dem Moment nicht auch noch ein Polizist vorbei kommt und sie dabei beobachtet. Wie schnell man doch sich elend fühlen kann!
Da steht er nun, der Kübel – und bleibt auch stehen mit dem bewussten Inhalt.

Zur Ausstattung der Zelle gehört auch eine Pritsche, ziemlich hart - mit einer Decke, die wahrscheinlich lange keine Säuberung genossen hat. Dazu passt, dass sie natürlich in Ermangelung eines Schlafanzuges in ihrer Kleidung, die sie vor der Festnahme getragen hat, die Nacht verbringen musste. Sie hatte aus verständlichen Gründen die ganze Nacht kein Auge zugemacht, zu viel stürmte auf sie ein.
Lisa läuft in der Zelle wie ein gefangenes Tier hin und her und hofft, dass endlich etwas passiert. Natürlich etwas Positives! Die Hoffnung hält einen manchmal zum Narren. Ihr ganzes Leben - sie ist gerade mal 18 Jahre alt, wie ihre Freundin Susi auch - war sie ein optimistischer Mensch. Das will sie sich auch auf keinen Fall nehmen lassen. In dieser Umgebung fällt es aber doch etwas schwer und die Einsamkeit macht ihr zu schaffen.



Klopfzeichen

Irgendwo muss doch ihre Freundin Susanne, genannt Susi, sein. Lisa lauscht an den beiden Seitenwänden der Zelle. Die Wände sind kalt, die Kälte fühlt sie bis ins Herz. Sie muss irgendetwas unternehmen, irgendetwas, auch wenn es noch so sinnlos erscheint. Untätigkeit macht sie verrückt.
Nach einer Weile klopft sie an die eine Wand - niemand antwortet. Nächster Versuch an der gegenüberliegenden Wand - und siehe da, sie hört Klopfzeichen aus der Nachbarzelle!
Sie ist aufgeregt, ihr Puls rast - sie hört förmlich ihr Blut rauschen. Es erleichtert sie etwas, dass sie doch einen Menschen, der sich in der gleichen Situation wie sie befindet, in der Nähe hat. Aber die Klopfzeichen helfen nicht viel. Lisa glaubt, dass Susi sich in der Nachbarzelle befindet und sich bemerkbar machen will. Da sie beide keine Zeichensprache kennen bzw. vereinbart hatten, können sie sich auch nicht verständigen. Wie hätten sie die auch vereinbaren sollen? Ein Misslingen ihres Vorhabens war nicht eingeplant. Sie wollten nur frei sein, und nun dies!
Aber es tut einfach gut, dass da jemand ist - auch wenn sie nicht genau weiß, ob es ihre Freundin ist oder ein anderer Mitgefangener, der da klopft.
Susi ist Lisas beste Freundin, und gegensätzlicher können Freundinnen wohl kaum sein. Susi ist ziemlich klein und etwas rundlich, hat grüne Augen. Von Natur aus ist sie dunkelblond, jedoch hat sie ihr langes, dichtes Haar mit Wasserstoffperoxyd auf hellblond gefärbt. Es ist die typische Frisur in den sechziger Jahren - lange, glatte Haare mit einem dichten, geraden Pony. Auffallend an ihr sind ihre vollen Lippen und wunderschöne Zähne. Mit ihrem kurvigen Busen ist sie für die Jungs ein echter Hingucker.
Lisa dagegen ist groß gewachsen und schlank, mit braunem, etwas lockigem, halblangen Haar und graubraunen großen, wohlgeformten Augen.
Beide kennen sich aus der Schulzeit, sie besuchten gemeinsam eine Oberschule in einer thüringischen Stadt. Susi ist ein echtes Stadtkind, modebewusst und gern unter Menschen. Sie liebt den Tanz, ist fröhlich und guter Dinge - jedenfalls meistens. Sie liest auch viel und gern, darin gleicht sie Lisa.
Im Gegensatz zu Susi wuchs Lisa am Rande der Stadt - eigentlich in einem Ort mit ländlichem Charakter - auf. Dementsprechend legte sie auch nie so viel Wert auf Mode. Wenn man es genau nimmt, hinkte sie der Mode immer etwas hinterher - was ihr aber nichts ausmachte. Tanzen gehen unter vielen fremden Menschen mochte sie auch nicht, sie ging höchstens mal ins Kino oder ins Theater. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, und so sind die beiden Mädchen trotzdem gute Freundinnen geworden.
Nun macht sich Lisa doch Sorgen - hoffentlich geht es Susi gut - wie verkraftet sie die Tatsache, eingesperrt zu sein? Aber die Hoffnung bleibt, bald kommt jemand und sagt ihnen, dass sie die Polizeistation verlassen können. Es kann nicht mehr lange dauern.

 

Geschehnisse der Nacht

Aber lange passiert nichts. Irgendwann bringt ein Polizeibeamter etwas zu essen vorbei - Lisa achtet nicht darauf, was es ist - sie isst es einfach. Es ist schon sehr lange her, dass sie eine Mahlzeit zu sich genommen hat. Wieder Geräusche von draußen, Schlüssel drehen sich im Schloss. Kommt jemand, uns frei zu lassen? Die Angelegenheit muss sich doch bald geklärt haben. Aber diese Hoffnung zerschlägt sich wieder, man muss Geduld haben und darf nicht einfach aufgeben. Obwohl sie weiß, dass die Chancen auf ein gutes Ende gegen Null gehen, kann sie einfach immer noch nicht an einen längeren Aufenthalt in Polizeigewahrsam denken. Sie sind beide doch noch so jung, da wird man doch ein Einsehen haben.
Man hört doch schon mal von unschuldig Verurteilten. Ein Schauder für die Seele - unschuldig im Gefängnis sitzen zu müssen. Etwas Schlimmeres kann ja fast nicht passieren - außer, dass man eine unheilbare Krankheit bekommt oder ein Kind verliert. Schuld und Unschuld- wer will das beurteilen? Schuldig ist man, wenn man gegen das Gesetz verstößt. Aber ist das Gesetz menschlich? Es kann nicht menschlich sein, es hat keine Gefühle. Die Gesetze sind nicht gottgegeben, sie werden von Menschen gemacht im Sinne der jeweils Herrschenden. Es sagt nichts darüber aus, ob es auch gerecht ist. Recht und Gerechtigkeit sind nicht immer identisch. Im Sinne des Gesetzes wären sie also schuldig - sie glauben nichtsdestotrotz nichts Unrechtes getan zu haben.
Es bleibt viel Zeit, das Geschehene zu rekapitulieren. Wie sind sie eigentlich in Gewahrsam genommen worden - und warum?
Man hatte sie auf einem deutschen Schiff, welches unter schwedischer Flagge fuhr und nach Finnland auslaufen sollte, aufgegriffen und verhaftet. Einen Besuch hatten sie für eine Flucht ins kapitalistische Ausland nutzen und nie mehr zurückkehren wollen. War das unrecht? Für sie war das kein Verbrechen, - sie hatten niemanden geschädigt, weder körperlich noch seelisch etwas angetan. Die beiden Mädchen wollten lediglich ihr Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes ausüben. War das unrecht?
Aber leider wurden sie verraten oder beobachtet, wie auch immer - jedenfalls wurden sie entdeckt, vom Schiff geführt und in einem vergitterten Polizeitransporter vom Hafen weg, durch die ganze Stadt zur Polizeistation gebracht. Der Wagen fuhr in einem höllischen Tempo und ratterte über das Pflaster, dass ihnen ganz schwindlig wurde vom Fahren und der Aussichtslosigkeit der Situation.
Bewacher saßen mit im Wagen und es war ihnen verboten, auch nur ein Wort miteinander zu sprechen.

 

Der Plan vom Glück

Vor vier Wochen waren sie aus der DDR nach Polen gereist, um Urlaub zu machen und nie wieder dorthin zurück zu kehren. Sie hatten beide Abitur gemacht und keine Perspektive in der DDR für sich gesehen.
Eigentlich war Lisa behütet aufgewachsen, hatte eine fröhliche Kindheit in ihrem Dorf am Rande der Stadt. Sie ging gern zur Schule, das Lernen fiel ihr nicht schwer. Mit etwas mehr Fleiß wären die Zensuren noch besser gewesen. Aber sie musste ja die Freizeit genießen. Die war etwas anders, als in der heutigen Zeit. Bücher lesen war ihre Leidenschaft. Es gab ja in dem kleinen Ort auch eine Bibliothek. Da war sie ständiger Gast. Mit den Freundinnen wurde Haschen und Verstecken gespielt, Blumenkränze geflochten - man könnte einen schnulzigen Heimatfilm davon drehen.
Der Mangel an ausgewählten Lebensmitteln und verschiedenen Konsumgütern war ihr damals als Kind nicht aufgefallen - daher störte es sie auch nicht. Selbst der Mangel an persönlicher Freiheit fiel nicht ins Gewicht. Sie kannte kein anderes Leben.
In der Schule wurde viel vom Klassenfeind hinter der Grenze gesprochen, von imperialistischen Kriegstreibern. Die Leute auf unserer Seite waren ja für den Frieden! Da konnte man sich ja nur für unsere Seite entscheiden - Frieden ist schließlich eine gute Sache.
Dass es nicht nur Schwarz und Weiß gab, entdeckte Lisa erst sehr viel später. Den ersten Knacks in ihrer heilen Welt gab es, als sie wieder einmal im Ferienlager war. Ihre Eltern selbst machten damals nie Urlaub, in der Freizeit ging es immer in den Garten, was ja auch recht schön war.
Da gab es Johannisbeersträucher, Stachelbeersträucher, Erdbeeren, Tomaten - so konnte man zumindest im Sommer den Mangel doch durch eigene Ernteerfolge mildern. Die Mutter kochte Obst ein, so hatte man im Winter feinen Nachtisch. Im Garten wurde auch manchmal gebrutzelt - Bratwurst meist - das war ein Festessen und ein Heidenspaß.
Arbeit machte der Garten natürlich auch, man musste Unkraut jäten, hacken, gießen, säen, ernten. Lisa wollte zwar lieber ein Buch lesen, aber manchmal kam sie um die Hilfe bei der Gartenarbeit doch nicht herum. Manchmal machte es ja auch Spaß, zu helfen. Und dann konnte man ja auch die tollen Früchte genießen. Wie die dufteten!
Die Eltern hatten eine Schaukel für Lisa aufgestellt, da ging es hoch hinauf! Ab und zu durfte Lisa ihre Freundinnen einladen, da machte dies noch mehr Spaß.
Der Vater hatte mit viel Enthusiasmus eine Gartenlaube selbst gebaut, es war ein richtig schmuckes Häuschen mit Fensterläden und einer Terrasse. Manchmal übernachteten sie auch dort, das war richtig aufregend und romantisch.
In den großen Ferien fuhr Lisa immer für drei Wochen ins Ferienlager. Als sie so ca. 13 Jahre alt war und, wie gesagt, wieder im Ferienlager, eröffnete der Lagerleiter den Kindern, dass ein paar arme Arbeiterkinder aus der BRD eingeladen worden seien, um einmal ein paar schöne Tage zu erleben. Die Idee war gut, warum sollten diese Kinder nicht sehen, wie gut es denen in der DDR ging.
Etwas irritiert waren sie aber, als die „armen“ Kinder, angetan mit goldenen Ohrringen und schicken Petticoats, ankamen. Einen Petticoat hatte Lisa noch nie gesehen - war schon ein tolles Kleidungsstück. Neidisch war sie trotzdem nicht und hat sich gut mit allen verstanden.

Lisas Mutter war, wie schon erwähnt, sehr auf das Wohl ihrer Tochter bedacht. Einziger Nachteil war, dass sie für Lisas Geschmack etwas zu viel auf das Gerede der Leute gab. Einmal hatte sie mitbekommen, dass Lisa in Ermangelung eines Hausschlüssels über das große Hoftor gestiegen war. Um Himmels willen - was sollen die Nachbarn dazu sagen! Ein Mädchen macht doch so etwas nicht!
Aber Lisa waren die Nachbarn schnuppe - sollten die doch denken, was sie wollten.
Lisas Vater war politisch sehr engagiert und mit seiner Arbeit verheiratet. Aber er war ein sehr ruhiger und liebevoller Mensch.
Susi dagegen hatte es nicht ganz so gut. Ihr Vater, an dem sie sehr gehangen hatte, war sehr früh verstorben, da war sie erst sechs Jahre alt. Das Ereignis hat Susi sehr mitgenommen, sie hat ihn schmerzlich vermisst. Ihre Mutter war eine hübsche junge Frau damals noch, sie blieb aber lange allein. Der Verlust hatte sie wahrscheinlich verbittert, denn eine liebevolle Behandlung wurde Susi nicht zuteil. Zwar wollte auch sie das Beste für ihr Kind, aber mit dem Herzen war sie nicht dabei. Selbst als Susi schon erwachsen war, bekam sie das zu spüren. An den Haaren durch die Wohnung ziehen war da eine Variante. Zu allem Überfluss bekam sie mit siebzehn/achtzehn Jahren auch noch einen Stiefvater vor die Nase gesetzt, der sich gern unter Susis Bettdecke begeben hätte. Aber die Rechnung ging nicht auf.

Nach der achten Klasse kam Lisa zur erweiterten Oberschule, wie das damals hieß. Sie wollte die zwölfte Klasse mit dem Abitur abschließen und studieren. Was? - na mal sehen. Wird sich schon etwas finden. Am liebsten hätte sie Sprachen studiert, aber das war keine einfache Sache. Die neue Schule befand sich in der Stadt und Lisa musste mit dem Bus oder im Sommer mit dem Fahrrad fahren. Die Klasse, in die sie kam, war bunt durcheinander gewürfelt - zusammengesetzt aus Schülern verschiedener Schulen. Lisa machte dies überhaupt nichts aus - sie liebte Veränderungen und freute sich auf die neuen Klassenkameraden. Man beschnupperte sich eine Weile, es bildeten sich Freundschaften heraus, die auch immer mal wechselten. Zu neunzig Prozent bestand die Klasse aus Mädchen. Lisa hatte den neusprachlichen Zweig gewählt, dafür interessierten sich die meisten Mädchen.
In dieser Klasse war dann auch Susi. Lisa fand Susi sympathisch, umgekehrt war es wohl auch so und es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Die beiden besuchten sich auch ab und an zu Hause, schrieben auch mal die Hausaufgaben voneinander ab. Die gemeinsame Interessenlage schweißte sie zusammen. Susi las genauso gern wie Lisa. Und dann - der Wendepunkt im Leben – sie wurden, wie alle anderen, von der Beatles-Welle überrollt – die Beatle-Mania brach aus. Die Mädchen waren einfach hin und weg. Jeder versuchte, irgendetwas über die vier Pilzköpfe zu erfahren. Dies war nicht einfach, sie hatten keinen Zugang zu den Zeitungen der westlichen Welt. Wenn mal eine oder einer einen Artikel oder Bildchen aus irgendeiner Quelle bekommen konnte, brachte er dies mit zur Schule und erregte riesiges Aufsehen.
Lisas Eltern besaßen keinen Fernsehapparat: das Kind soll erst mal die Schule abschließen.
Aber Lisa besuchte eine Freundin und schaute dort schon mal „Studio B“. Das war für sie ein Einblick in eine fremde Welt.
Davon durften die Eltern aber nichts erfahren. Lisas Vater war in der Nazizeit wegen seiner politischen Überzeugung – er war Kommunist - verfolgt worden, musste sogar für ein halbes Jahr ins KZ. Nach dem Krieg wähnte er seine Ziele – den Sieg der Arbeiterklasse – erreicht und war ein überzeugter Anhänger des Staates DDR. Es waren sicherlich hehre Ziele, die er verfolgte, nur leider bemerkte er nicht, dass dieser Staat eine Diktatur war und keine Andersdenkenden duldete. Der Vater war aber ehrlichen Herzens und hätte niemanden wegen seiner Gesinnung angeschwärzt.
Von offizieller Seite wurde es untersagt, Westfernsehen zu schauen. Lisa erinnert sich, wie in den frühen Jahren sogar die Antennen von den Dächern geholt wurden, damit die Leute kein Westfernsehen schauen konnten. Aber die Menschen in der DDR waren auch erfinderisch, irgendwie fanden sie einen Ausweg.
Schlimm war nur, dass manche zu Denunzianten wurden, Leute verpfiffen haben. Heuchelei und Duckmäusertum wurden dadurch gefördert. Die Regierung wollte betrogen werden, Hauptsache, der Schein stimmte. Lisa fand das einfach nur schlimm.
Auch in der Schule musste man, ob man wollte, oder nicht, mit dem Strom schwimmen. Staatsbürgerkunde war wichtiger als alle anderen Fächer, jedenfalls aus Sicht der Verantwortlichen. Die eigene Meinung war nicht gefragt, so behielt man sie lieber für sich. Man war ja abhängig vom Wohlwollen der Lehrer. Die Vertretung einer anderen Meinung als der offiziell gewünschten wäre den Schülern nicht gut bekommen. Obwohl die meisten Lehrer auch nicht unbedingt linientreu waren. So machte einer dem anderen etwas vor.
Die Beatles wurden zu Beginn ihrer Karriere von den DDR-Obersten noch abgetan als kapitalistische Unkultur – dieses „Yeah, yeah, yeah!“ sei kaum zu ertragen. Aber bei den Jugendlichen kam diese neue Musikrichtung gut an.
Auf wundersame Weise machte sich dieses Interesse bei Lisa auch in besseren Noten in Englisch bemerkbar. Man wollte schließlich seine Idole auch verstehen. Es war auch sehr beliebt, Brieffreundschaften zu pflegen, sogar ins kapitalistische Ausland. So fühlte man sich doch etwas mit der großen, weiten Welt verbunden. Lisa hatte Brieffreundinnen und –freunde in der Sowjetunion, England, Frankreich, Mexiko und Ungarn. Jede Woche kam Post aus einem dieser Länder, und Lisa antwortete auch prompt. Das war eine spannende Sache und hat viel Freude bereitet. Schön wäre es gewesen, diese Leute auch mal zu besuchen. Nach Ungarn hatte sie es bereits geschafft und die Ferien dort verbracht. Das war eine schöne Erfahrung. Leider klappte es mit den anderen Ländern aus den bekannten Gründen nicht. Es gab keine Reisefreiheit. So blieb ihr nur, davon zu träumen. Möglichkeiten hätte sie allemal gehabt - sie hatte eine Einladung ihrer mexikanischen Briefreundin - sie sollte nach Mexiko, in die Hauptstadt kommen. Das wäre toll gewesen. Auch aus Frankreich traf eine Einladung ein - die Brieffreundin hatte sie zur Hochzeit nach Paris eingeladen! Ein Traum - das blieb er auch.

Man hatte das Gefühl der Einengung und politischen Bevormundung. Aber wie dem entkommen?
Die Beatles mit ihrer neuartigen Musik und ihrem unkonventionellen Auftreten vermittelten den Jugendlichen ein vollkommen neues Lebensgefühl. Lisa und Susi wollten aus diesem verstaubten und starren System ausbrechen, einfach frei sein!
Anfang des letzten Schuljahres sagte Susi zu Lisa: „ Ich habe doch eine Brieffreundin in Polen - sie hat mich eingeladen, und du kannst mitkommen“. Lisa gefiel die Idee - fürs Verreisen hatte sie schon immer eine Schwäche, aber noch nicht so viele Gelegenheiten. Und mit ihrer Freundin würde sie bestimmt viel Spaß haben. Susi spann den Faden weiter: „Wir könnten doch in einer Hafenstadt an Bord eines Schiffes gehen und ins geliebte England fliehen“. Lisa war von der Idee begeistert – London sehen, am Picadilly spazieren gehen, vielleicht sogar mal die Beatles treffen - und stellte das Gelingen des Vorhabens außer Zweifel. Irgendeine Arbeit würden sie schon finden. Nun musste sie nur noch ihre Eltern überreden, dass diese sie auch mitfahren ließen. Natürlich durften sie nichts von dem abenteuerlichen Plan erfahren - da käme die Reise gar nicht zu Stande.
Lisa nahm die Sache in Angriff und bettelte ihre Eltern, mitfahren zu dürfen. Schließlich wäre das ja ein schöner Abschluss ihrer Schulzeit, nach dem Abitur eine Auslandsreise zu machen.
Nach einigem Zögern gaben die Eltern ihre Zustimmung, Lisa war froh und glücklich.



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