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Luke MacKenzie - |
Prolog
Ein kalter Wind wehte an einem Weihnachtsabend durch die mächtigen Wipfel
der Bäume, als Lucy und Paul MacKenzie, mit ihrem Sohn Luke, auf den Pferden
durch den dunklen Wald galoppierten. Sie waren auf der Flucht, auf der Flucht
vor dem wohl gefürchtetsten Zauberer, den es je gegeben hatte, Assarbad.
Er war ein Dämonenmeister, der seine Feinde und alle, die sich ihm in den
Weg stellten, auf das Übelste quälte. Er tat es mit Flüchen und
Zaubersprüchen, die den meisten von ihnen am Ende den Tod brachten. Lucy
und Paul hatten sich dem Zauberer widersetzt, als dieser von ihnen verlangte,
ihm ihren Sohn zu übergeben. Assarbad wusste, dass Luke ein besonderes
Kind war. Ihm waren die magischen Fähigkeiten seiner Eltern bereits in
die Wiege gelegt worden. Sie hatten Angst um Luke, schon einmal hatte der Magier
versucht, den Jungen zu entführen. Lucy und Paul wussten nicht wohin sie
flüchten sollten, sie wollten nur weit fort mit ihrem Sohn, um diesem
grässlichen Assarbad zu entfliehen. Plötzlich vernahmen sie aus der
Ferne das Geräusch galoppierender Pferdehufe.
"Sie sind hinter uns", rief Lucy angsterfüllt aus.
"Luke drück` dich fest an mich und dreh dich nicht um", sagte
Paul zu seinem Jungen. Sie jagten dahin, stechende Zweige der großen Tannen
peitschten Paul ins Gesicht, während er Luke fest an sich presste. Der
vierjährige Junge hatte bisher nicht ein einziges Wort gesagt, doch er
zitterte vor Angst und Kälte. So ganz begriff er nicht, was hier vor sich
ging, jedoch vertraute er seinen Eltern. So lange sie bei ihm waren, konnte
ihm nichts geschehen.
"Paul", schrie Lucy verzweifelt. "Luke muss sich verstecken,
unter
dem Strauch da", sie wies auf einen dichten Wacholderbusch. Die dumpfen
Geräusche der Hufe, die sich durch den trockenen Sand kämpften und
das Schnauben der Pferde waren nun deutlich zu hören.
"Hör mir gut zu, Luke. Du versteckst dich ganz schnell unter dem Busch
dort. Dort wartest du so lange, bis wir dich holen. Mach deine Augen ganz fest
zu!" Paul strich seinem Jungen sanft über das Haar und ließ
ihn vom Pferd, das immer noch in Bewegung war, hinuntergleiten. Der kleine
Junge strauchelte im hohen Schnee, stand geschwind wieder auf und hockte sich
zitternd unter den Busch. Er fror entsetzlich, obwohl seine Mutter ihn warm
angezogen hatte. Wie lange sollte er hier warten? Wenn das ein Spiel sein sollte,
dann wollte er, dass es schnell beendet würde.
Lucy und Paul sahen ein, dass sie keine Chance hatten, den Reitern zu entkommen.
Mehrere finstere Gestalten stellten sich ihnen in den Weg. Sie saßen auf
ihren großen dunklen Pferden, und trugen schwarze Mäntel mit spitzen
Kapuzen. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen, und als eine dieser Gestalten
vortrat und mit tiefer, unheilbringender Stimme zu sprechen anfing, wurde die
Luft in dem dunklen Wald furchtbar schwer und Nebel kam auf. Es war Lucy und
Paul nur schwer möglich zu atmen.
"Lucy und Paul MacKenzie, wir sind gekommen, um euren Sohn zu holen. Ihr
habt euch schuldig gemacht, in dem ihr Assarbad nicht gehorcht habt. Wo ist
er?" Lucy warf Paul einen flehenden Blick zu, Paul nickte unmerklich.
"Er ist nicht bei uns. Wir haben ihn an einen Ort gebracht, wo er sicher
aufgehoben ist. Wer seid ihr überhaupt?" Wütend hob das Wesen
seinen Arm, am Klappern der Knochen konnte Paul erkennen, dass es sich hier
um ein Skelett handelte. Es drohte mit geballter Faust.
"Wir sind Skeletons. Ihr habt noch nicht von uns gehört? Wir sollen
euren Sohn zu dem großen Dämonenmeister bringen. Also wo ist er?",
fragte das Skelett nun ungehalten.
"Niemals verraten wir euch seinen Aufenthaltsort! Er soll nicht bei einem
so grässlichen Zauberer aufwachsen!" Lucy liefen Tränen über
das Gesicht, während sie die Skelette anschrie. Zwei der Gestalten setzten
sich daraufhin auf ihren Pferden in Bewegung, um sich neben Lucys und Pauls
Pferd zu stellen. Sie griffen nach den Zügeln und warteten, bis ihr Anführer
gebieterisch sprach:
"Ihr habt es nicht anders gewollt, darum werdet ihr uns nun zu Assarbad
begleiten. Dort werdet ihr in der Verbannung leben und dem großen Zauberer
dienen, bis ihr ihm euren Sohn aushändigt." Lucy warf einen letzten
verzweifelten Blick auf den Wachholderbusch, noch immer rannen Tränen
über ihr Gesicht. Sie konnte ihre Trauer nicht verheimlichen.
Ein dunkler Schatten legte sich über Lucy und Paul und verschlang sie
mitsamt ihren Pferden. Auch die Skeletons auf ihren Rappen waren plötzlich
verschwunden. Da Luke seine Augen fest geschlossen hatte, sah er nicht, was
passierte.
Es dämmerte schon, als er nicht länger unter dem Wacholderbusch ausharren
wollte. Vorsichtig öffnete er seine Augen und erschrak angesichts der einsetzenden
Dunkelheit. Luke hatte entsetzliche Angst. Hatten sich seine Eltern vor ihm
versteckt? Wo sollte er nach ihnen suchen? So laut er konnte, rief er nach seinen
Eltern. Nachdem alles still blieb, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und lief
vor Tränen halb blind in die Dunkelheit. Plötzlich hörte er eine
Stimme, die ihn an seine Mutter erinnerte. Er blieb abrupt stehen. Wer war das,
seine Mutter?
"Mama, Mama wo bist du?" Mittlerweile war es dunkel geworden und all
die fremden Laute machten seine Angst nur noch größer.
"Nein Luke, ich bin nicht deine Mutter. Ich bin eine weise Fee, und ich
werde dich auf deinem Weg begleiten." Der Pfad vor ihm wurde beschienen,
so dass er sehen konnte, wohin er trat.
"Ich kann dich nicht sehen, wo bist du?", fragte Luke in die Finsternis
hinein, dichtes Schneetreiben hatte eingesetzt.
"Später kleiner Luke, später wirst du mich sehen können.
Folge nur dem Licht." Luke stolperte über dicke Baumwurzeln, die den
Weg kreuzten, fiel hin und stand schnell wieder auf seinen kurzen Beinen. Er
lief so schnell er konnte, um der Düsterkeit und den Schatten zu entrinnen,
immer dem Licht der Fee hinterher.
Es war früher Morgen, als Thor durch Geräusche vor seiner Hütte
geweckt wurde. Es hörte sich an wie ein Weinen oder Wimmern. Im ersten
Moment kam es ihm vor, als ob ein Traum ihn geweckt hatte, doch im nächsten
war er hellwach und horchte nach draußen. Er zupfte an seinem krausen
Bart, sollte er nachsehen? Wenige Minuten später stand er vor der Hütte
und sah sich um. Es schneite noch immer, dicke Flocken versperrten ihm die
Sicht. Hinter einem dicken Baumstamm versteckte sich jemand, das konnte er ganz
deutlich erkennen. Als Thor näher herankam, sah er, dass es sich um ein
blondes Menschenkind, wohl einen Jungen, handelte. Der Kleine hatte ein verweintes
Gesicht, das bläulich angelaufen war, seine Kleider waren nass und er zitterte
vor Kälte. Thor betrachtete den Jungen eindringlich. Wie um alles in der
Welt war er hierher gekommen?
"Komm mal her zu mir, mein Junge. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.
Ich bin ein Troll, ich seh` nur so düster aus. Wie heißt du denn,
und wo kommst du her? Vermutlich kannst du mich gar nicht verstehen." Luke
traute sich nicht hinter dem Baumstamm hervor. Seine Tränen waren inzwischen
getrocknet, doch er hatte immer noch schreckliche Angst. Wo waren seine Eltern
geblieben? Sie wollten ihn doch abholen. Die Zeit, die er unter dem Busch gehockt
hatte, war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Es dauerte lange, bis er sich
hinter dem Baumstamm hervor traute und langsam auf Thor zuging.
Thor beschloss, den Jungen erst einmal bei sich zu behalten, und wenn er ihm
ein bisschen Zeit ließ, würde er sicher bald mit ihm reden. Luke
sprach allerdings lange Zeit kein Wort, aber er weinte auch nicht mehr. Eines
Tages, es war nach dem Abendessen, zog der Junge ein Medaillon hervor und öffnete
es. Thor, der am Ofen stand, sah ihm über die Schulter.
"Wer ist das, deine Mama? Sie ist eine hübsche Frau." Luke schluckte,
die Erinnerung, die er lange Zeit verdrängt hatte, kam zurück. Tränen
kullerten über das kleine Gesicht, Thor setzte sich neben ihn auf die
Bank und nahm ihn in den Arm, der Junge ließ es geschehen.
Von da an ging es Luke von Tag zu Tag besser. Der Troll und der Junge verständigten
sich anfangs mit Handzeichen, bis Luke eines Tages die Sprache der Trolle verstand
und sprach. Nach und nach erfuhr der Troll die traurige Geschichte, die der
kleine Luke im Wald erlebt hatte. Doch diese Erinnerung sollte er bald vergessen.
Dass der Junge etwas Besonderes war, hatte Thor schnell erfahren. Es geschahen
manchmal Dinge, die ihm eigenartig vorkamen. Einmal kam er in die Küche,
als Luke ein Hühnerei in den Händen hielt. Er hielt es umsichtig,
so dass es nicht zerbrechen konnte. Der Junge murmelte etwas und strich immer
wieder vorsichtig über das Ei. Auf einmal knackte es und ein kleiner Vogelkopf
schaute hervor. Kopfschüttelnd wandte Thor sich ab. Was sollte das? Er
konnte sich keinen Reim darauf machen. Immer öfter machte er sich nun
Gedanken, warum Luke an jenem Abend ausgerechnet zu ihm gefunden hatte. Eines
Nachts hatte Thor einen merkwürdigen Traum. Fistibell, die weise Fee erschien
ihm. Sie hatte Luke einst zu ihm geführt, und sie erzählte ihm die
traurige Geschichte, die Luke umgab. Sie beschwor ihn eindringlich, Luke erst
an seinem 11. Geburtstag von seiner wahren Herkunft zu erzählen. Aber war
es ein Traum?
Luke entwickelte sich prächtig. Er sah zwar nicht unbedingt wie ein Troll
aus mit seinen blonden Haaren, doch sein Ziehvater erzog ihn als solchen. Thor
war Herrscher über alle Trolle in Haukeland, und er sah Luke als seinen
Nachfolger vor. Der Junge lernte viel von ihm, bei Besuchen von anderen Trollen
und der Arbeit im Wald. Keiner der anderen Waldbewohner störte sich daran,
dass er anders aussah als sie. Durch sein freundliches und stets hilfsbereites
Wesen war er überall beliebt.
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