![]() ISBN 978-3-940640-19-2 |
10 Merkwürdige Geschichtenvon Teddy Matthau Taschenbuch, ca. 152 Seiten. Preis: 9.90 Euro *inkl. Mwst. zzgl. Versandkosten Ab einem Warenwert von EURO 50,00 versenden wir innerhalb Deutschlands und EU versandkostenfrei! Widerrufsbelehrung Durchschnittliche Bewertung: 5 |
Die Relativitätstheorie
... Als Einstein einmal bei einem Fahrradausflug nach Treuenbrietzen in ein Unwetter kam, flüchtete er in das "Goldene Hirschkalb", einen mittelmäßigen Dorfgasthof in der Nähe der erwähnten slawischen Kultstätte. Sehr schnell fand er Gefallen an Wilhelmine, der Tochter des Wirts. Er bestellte Boulette mit Senf, Kartoffeln und Spreewälder Gürkchen. Von seinem Tisch aus fiel sein Blick durch eine gläserne Vitrine auf der Theke, in deren obersten Fach sich ein Glas Soleier befand. Über die verspiegelte Unterseite konnte Einstein direkt in Wilhelmines Ausschnitt sehen. Sofort ergaben sich die für einen Physiker naheliegenden Gedankengänge: In Wilhelmines Ausschnitt befanden sich die Massen m1 und m2. Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz werden Einsteins Pupillen mit der Gravitationskraft F von Wilhelmines Massen angezogen. Wilhelmine lächelte leicht verschämt. Unklar blieb Einstein zunächst, warum sich nicht auch die Soleier im Glas zu Wilhelmines Massen ausrichteten. Offensichtlich war der Einfluss auf Einsteins Pupillen trotz der größeren Entfernung stärker. Wilhelmine errötete.
Das Unwetter war bald vorbei, aber der nachfolgende Landregen zwang Einstein
noch eine weitere Boulette zu bestellen, wieder mit Gürkchen. Was wäre,
wenn nun ein Zug mitten durch das "Goldene Hirschkalb" vorbei an Wilhelmines
Massen fahren würde, dachte Einstein. Ein Beobachter im hinteren Teil des
Zuges würde sich doch relativ auf Wilhelmine zu bewegen, während ein
Beobachter im vorderen Teil sich gleichzeitig schon wieder entfernte. Einstein
ließ sich drei Bierdeckel für einige Notizen bringen. Wilhelmine
war fasziniert. "Sie sind ja klug!" flüsterte sie ihm zu. "Sie
könnten bestimmt auch mein Grammophon reparieren, wa? Da fällt immer
die Kurbel runter." Aber Einstein ließ sich nicht ablenken. "Was
wäre, wenn der Zug mit Lichtgeschwindigkeit durch den Gasthof fahren würde?
Ein weiterer Beobachter in großer Entfernung, auf den der Zug gerade zufährt,
würde erleben, wie sich der Raum um das Gravitationsfeld von Wilhelmines
Massen krümmt." erläuterte er seine Theorie. "Jetzt ist
aber Schluss hier, Bürschchen!" rief der Wirt dazwischen. "Meine
Tochter ist ein anständiges Mädchen! Verlassen Sie sofort das Lokal!"
...
Das vierte Gemälde
"Ungarisches Paprikapulver hat einen wesentlich besseren Geschmack und überhaupt eine unglaublich intensive Farbe. Das ist mit unserem überhaupt nicht zu vergleichen!" Dieser Satz war überzeugend genug um am Wochenende eine Schar Gäste in mein Wohnzimmer zu locken, denen ich die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse meiner Gulaschforschung präsentieren durfte. Ich war dem Anlass angemessen gekleidet und meine weiten, weißen Hemdsärmel passten perfekt zu dem tiefen Schwarz des großen, gut gefüllten Kessels. Bereits bei der Begrüßung hatte ich viel Lob für den wunderbaren Duft erhalten, der sich bereits bis ins Treppenhaus ausgebreitet hatte. In Gedanken sah ich die Nachbarn vor mir, wie sie neidisch mit langen Nasen an den Briefschlitzen ihrer Wohnungstüren klebten um wenigstens einen kleinen Anteil am für sie unerreichbaren Genuss einzufangen.
Dann war es soweit: Endlich präsentierte ich den geladenen Gästen das heiße, duftende Prachtstück und hob es beim Betreten des Zimmers voller Stolz noch etwas an, so dass sich mein Ärmel auf einer Höhe mit der Türklinke befand. Die Gesetze der Trägheit sorgten dafür, dass der Topf seine ursprünglich geplante Bewegungsrichtung noch einen Moment lang beibehielt, dann übernahm die Schwerkraft mehr und mehr die Initiative. Zum Crescendo der Violinen und Violoncelli breitete sich das leuchtende Rotbraun in Zeitlupe auf meinem sandfarbenen Teppichboden aus, einige Rindfleischwürfel hüpften bereits leichtfüßig zum Klang der Klarinetten zwischen die Füße der Gäste. Da kündeten Paukenwirbel, Posaunen und das mächtige Becken die Ankunft des Kessels auf dem Boden an. Trompeten setzten ein und unterstützten gemeinsam mit den Hörnern die Flucht der Gäste von ihren Stühlen. Die Cellisten sorgten auf ihre unnachahmliche Art dennoch wieder für eine gewisse Wärme, während leidende Oboen und nicht zuletzt das mahnende Fagott den Ernst der Lage unmissverständlich darstellten. Sphärische Disharmonien der Querflöten und ein übermäßiger Quintsextakkord verlangten zaghaft nach Auflösung, sorgten dann aber für einen insgesamt eher unbefriedigenden Ausklang. Nur die freche Piccoloflöte und das alberne Glockenspiel wiesen noch auf kleinere Peinlichkeiten wie die grüne Paprika auf der Brille des Herrn Professor und den Zwiebelring auf dem Schoß seiner Gemahlin hin. Dann war es still. Selbst der erwartete Beifall blieb aus.
Einige Gäste blieben noch und halfen mir etwas bei den aussichtslosen
Reinigungsarbeiten. Glücklicherweise hatte ich noch zwei Tüten Blumenkohlsuppe
im Schrank, so dass ich mich erkenntlich zeigen konnte. Wenigstens konnten wir
später noch in kleiner Runde ausgiebig den rubinroten Wein genießen
und dabei mit einem Lächeln auch hier und da mal einen Tropfen verschütten,
aber die Stimmung blieb an diesem Abend eher verhalten. ...
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