![]() ISBN 978-3-940640-26-0 |
Iss auf! Woanders hungern Kindervon Bettina Albach DIN A 5, ca. 85 Seiten. Preis: 9.90 Euro *inkl. Mwst. zzgl. Versandkosten Ab einem Warenwert von EURO 50,00 versenden wir innerhalb Deutschlands und EU versandkostenfrei! Widerrufsbelehrung |
Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ernährten sich viele Familien nur noch
von Brot und Kartoffeln. Bis kurz vor Kriegsbeginn wurde die Bevölkerung
auf vielerlei Sparmöglichkeiten und -maßnahmen eingestellt. Selbst
geringste Mengen von Nahrungsmitteln sollten noch fantasievoll (wieder-) verwendet
werden. Erinnern Sie sich an mit Steckrübenscheiben belegtes Brot? An Brennnesselauflauf,
Brotkuchen, Eichelblutwurst, Falschen Harzer Käse, Kartoffelwaffeln, Marmelade
aus Schwarzem Tee oder Kaffee aus Zichorienwurzeln? An diese und viele andere
Rezepte soll hier erinnert werden.
Als erstes waren Butter, Fett, Fleisch, Käse, Milch, Zucker und Marmelade
nur noch auf Lebensmittelmarken erhältlich. Aufgrund der angespannten Notlage
wurde über die Kriegsjahre verstärkt auf ausreichende Kalorienzufuhr
anstatt auf ausgewogene Ernährung geachtet. Mangelerkrankungen waren keine
Seltenheit. Um dem vorzubeugen, wurde eine Umstellung der Kochgewohnheiten propagiert.
Auch heute noch gilt, daß z.B. gedünstetem Gemüse mehr Nährstoffe
enthalten bleiben als gekochtem. Zusätzlich sollte stets ein Drittel der
Gesamtmenge erst zum Ende der Zubereitungszeit roh zugegeben werden. So wurde
man mit kleineren Portionen schneller satt. Das meiste Gemüse enthält
einen höheren Nährwert, wenn man es roh als Salat zu sich nimmt. Die
Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit solcher Ratschläge sollte in den Folgejahren
noch allzu deutlich werden.
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Nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 endete die Not der Bevölkerung
nicht automatisch. Die Menschen litten zum Teil noch jahrelang weiter. Im Vordergrund
stand nicht die Qualität der Nahrung sondern reine Kalorienzufuhr.
Nach Kriegsende wurden weiterhin Lebensmittelkarten verteilt. Ohne diese Bezugsscheine
war die Reichsmark wertlos. Die Alliierten legten dabei eine Mindestzahl an
Kalorien fest - entsprechend der Schwere der Arbeit eingeteilt in Kategorien
von I bis IV.
Für Importe fehlten die Mittel. Durchschnittlich 1.000 Kalorien mussten
täglich oft reichen - Das entspricht noch nicht einmal dem Grundumsatz
eines Menschen. Praktisch kann man sich darunter vorstellen, mit z.B. zwei Scheiben
trockenem Brot, einigen Löffeln Milchsuppe und drei kleinen Kartoffeln
auskommen zu müssen - aber nicht etwa für eine Mahlzeit, sondern über
den ganzen Tag! In Hamburg sollen Anfang 1947 nur noch 800 Kalorien, in Hannover
770 und in Essen nur noch 740 Kalorien ausgegeben worden sein.
Und selbst diese Kalorienangaben waren nicht selten ein Trugschluß, bedenkt
man, daß Butter oft einen Wassergehalt von 20 Prozent hatte und sogar
die Milch für Kinder gepanscht war. Trotzdem leisteten vor allem Frauen
harte Arbeit, denn die Städte mussten wieder aufgebaut werden. Selbsthilfe
war die Devise, denn die Wohnverhältnisse insbesondere in Großstädten
war katastrophal. Schrittweise wurden dann 1948 und 49 die zugeteilten Kalorienmengen
für die Bevölkerung erhöht.
Erst 1950 wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft. Nur für Kranke gab
es regional noch eine Weile lang Krankenzulagekarten. Im Gebiet der DDR normalisierten
sich die Verhältnisse erst acht Jahre später. Kartoffel- und Kohlekarten
wurden erst 1966 abgeschafft.
Lebensmittelkarten reichten bei weitem nicht, um den Nährstoffbedarf eines
jeden Bürgers zu decken. So versuchten die Menschen vorbei an der Kontrolle
der Behörden und natürlich auch vorbei an der Steuer durch Tauschhandel
zu überleben. Hunger und Not verdrängten die Moral der Menschen und
ließen kriminelle Schranken fallen. Der Trieb zur Selbsterhaltung war
stärker. Man "verkaufte", was man gerettet hatte gegen Dinge,
die man dringend brauchte. Gehandelt wurde alles gegen jedes. Besonders Geschickte
hielten sich mit sogenannten Kompensationsgeschäften über Wasser.
Mit etwas Glück kam so jemand nach mehreren Tauschgeschäften mit der
doppelten Menge Ware zurück als er anfangs eingetauscht hatte.
Die Versorgungslage in ländlichen Gebieten war deutlich besser als in den
Städten. Die Bauern versuchten meist, so viele Erzeugnisse wie möglich
vorbei an der Erfassung durch die Ernährungsämter zu horten. Massen
von Stadtbewohnern unternahmen sogenannte Hamsterfahrten, um bei den Landwirten
Fleisch, Eier, Gemüse und Speck gegen alles mögliche einzutauschen,
was der Haushalt noch hergab.
Die Preise auf dem Schwarzmarkt überstiegen den üblichen Handelswert
bei weitem. Am höchsten waren die Preise in Großstädten, besonders
in Hamburg, am niedrigsten in ländlichen Gebieten sowie nahe der holländischen
und belgischen Grenze. Der Schwarzmarkt vergrößerte die soziale Ungleichheit
in dieser Zeit. So wie Händler, die überteuerte Preise für seltene
Güter verlangten, bestraft wurden, so stand deshalb verständlicherweise
auch der private Tauschhandel unter Strafe. Nicht selten fuhren die Stadtbewohner
mit ihrem letzten Hab und Gut aufs Land, um erleben zu müssen, wie der
mühsam erstandene Sack Kartoffeln auf dem Rückweg nach Hause beschlagnahmt
wurde.
Vergessen, haben die Menschen die Hungerjahre nie. Kaum ein älterer Mensch
wird auch heute in Zeiten des Überflusses noch mit gutem Gewissen Nahrungsreste
entsorgen. Die im Krieg gelernte Handhabung mit allem Essbaren hat sich tief
im Bewusstsein eingebrannt.
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