![]() ISBN 978-3-940640-42-0 |
Verzweiflungenvon Wolfgang Stell DIN A 5, ca. 162 Seiten. Preis: 12.90 Euro *inkl. Mwst. zzgl. Versandkosten Ab einem Warenwert von EURO 50,00 versenden wir innerhalb Deutschlands und EU versandkostenfrei! Widerrufsbelehrung |
Aus dem Leben der Vynen
Eine Frau wird mit durchschossenem Kopf in einem Hotel aufgefunden. Was ist
daran außergewöhnlich? Besonders, wenn es sich, wie in diesem Fall,
um ein drittklassiges Hotel handelt, und wenn es sich, wie in diesem Fall, um
die Frau eines Dichters handelt. Was ist daran außergewöhnlich? Es
werden ja täglich und in aller Welt eine Unzahl Frauen mit durchschossenen
Köpfen aufgefunden, zum Teil in erstklassigen Hotels und darunter die Frauen
einfacher Arbeiter oder verfassungsfreundlicher Akademiker. Was ist in Anbetracht
dessen noch an der Tatsache, dass die Frau eines Dichters in einem drittklassigen
Hotel mit durchschossenem Kopf aufgefunden wird, außergewöhnlich?
Als ich den Auftrag, mich des Falle anzunehmen, bekam, gedachte ich mir damit
nicht sehr viel Arbeit zu machen. Tatsächlich glaubte ich, einer angenehmen,
das heißt, arbeitsarmen Woche entgegenzusehen. Irgendetwas jedoch, das
war mir selbstverständlich klar, musste ich unternehmen.
.
Es gab - wie gesagt - auch Diskrepanzen. Oft weigerte sich meine Frau hartnäckig,
Beethovenmusik zu hören. Legte ich eine Schallplatte auf, schaltete meine
Frau den Schallplattenspieler ab. Sie hätte diese Platte schon zu oft gehört,
behauptete sie dann, oder ihr sei gerade nicht nach Beethoven, oder man könne
nicht immer Beethoven hören, oder sie wolle ihre Ruhe haben, verstehen
Sie, manchmal auch einfach nur, sie wolle ihre Ruhe haben. Morgens, behauptete
sie oft, könne man nicht Beethovenmusik hören; Beethovenmusik sei
nichts für den Morgen, das war ihre feste Überzeugung. Niemals gestatte
sie es mir am Morgen, eine Beethovensymphonie aufzulegen. Wie gern hätte
ich Beethoven morgens im Bett gehört, aber nein, man könne Beethovenmusik
nicht am Morgen hören, davon wich sie nicht ab. Unterhaltungsmusik ja,
James Last ja, aber nicht Beethoven, Beethoven nicht! Dagegen konnte ich nichts
erreichen. Darüber konnte ich auch leicht hinweg kommen. Manchmal aber
hielt meine Frau mich von der Arbeit, also von der Ausübung meiner Kunst
ab, was ja wesentlich schlimmer, was ja das Fürchterlichste ist für
einen Künstler, für einen Dichter. Das tat· sie, meine Frau,
mittels der verschiedensten Methoden. Manchmal war sie argwöhnisch, fluchte
und schimpfte und beleidigte mich, geehrter Herr Dubier, andere Male heischte
sie um Liebe, verstehen Sie, um Zärtlichkeit; diese Methode war bereits
schlimmer als die zuerst genannte, aber die furchtbarste, die wirkungsvollste
und niederträchtigste war die dritte Methode, wenn sie mich von der Ausübung
meiner Kunst abhielt, indem sie etwas zu mir sagte, worin sie einen Vorwurf
gegen mich andeutete, verstehen Sie? Sie deutete einen Vorwurf gegen mich an
und sagte dann gar nichts mehr. Das war die wirksamste Methode. Dann konnte
ich sie fragen und bitten und eine Erklärung versprechen, das half nichts,
sie sagte einfach kein Wort mehr, nichts war mehr aus ihr heraus zu bekommen.
Das war ihre stärkste Waffe, geehrter Herr Dubier. Ebenso, wenn ich sie
einmal bat, mich in Ruhe zu lassen, weil ich nachzudenken hätte, sagte
sie ganz plötzlich kein Wort mehr, und dann, das war ihr selbstverständlich
klar, war es vorbei mit meiner Ruhe und mit meinem Nachdenken. Das soll aber
nicht heißen, dass ihre Vorwürfe und Sticheleien keinen Eindruck
auf mich gemacht hätten. War sie zänkisch, trieb sie mich manchmal
zum Wahnsinn und aus dem Hause, und dann irrte ich stundenlang umher, und das
immer ausgerechnet dann, wenn ich zu schreiben vorhatte. Was das für einen
Dichter bedeutet, vom Schreiben abgehalten zu sein, können Sie sich vielleicht
vorstellen, geehrter Herr Dubier.
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